„Never again … is now.“

Ausstellungen über Nationalsozialismus und zur Erinnerungskultur in Landshut

Im Jahr 2024 beschäftigen sich zwei Landshuter Museen mit der Vergangenheit der Stadt und dem Umgang damit bis heute. Das LANDSHUTmuseum zeigt vom 10. März 2024 – 9. März 2025 die Ausstellung „Landshut im Nationalsozialismus. Opfer. Täter. Zuschauer“. Das nebenan gelegene KOENIGmuseum widmet sich vom 10. März bis 9. Juni 2024 mit der Ausstellung „Mahnmale. Erinnerungskultur im Werk von Fritz Koenig“ dem Thema aus künstlerischer Perspektive.

Als ich beim KOENIGmuseum in Landshut ankomme, treffe ich vor dem Eingang auf mehrere Personen. Sie sind gerade dabei, einen Schriftzug an die Fassade des Museums anzubringen. In Neonfarben steht da geschrieben: Never again … is now. Es handelt sich um ein Kunstwerk des Konzept- und Performancekünstlers Jan Kuck – ein passender Einstieg für einen Tag, an dem ich mich mit Erinnerungskultur beschäftigen werde. Unter dem Motto „Landshut im Nationalsozialismus“ haben sich das LANDSHUTmuseum und das KOENIGmuseum zusammengetan. Der Fokus des LANDSHUTmuseums liegt auf der Geschichte von Landshut und seiner Bevölkerung während dieser Zeit. Das KOENIGmuseum zeigt anhand einer Ausstellung zu den Mahnmalen von Fritz Koenig einen künstlerischen Umgang mit dem Thema Erinnerung. Beide Ausstellungen reichen über die Museumsräume in die Stadt hinaus und knüpfen mit ihren Programmen an gegenwärtige Fragen an.

„Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.“ (Primo Levi)

Im LANDSHUTmuseum empfängt mich Dr. Doris Danzer, die 2022 die Idee für die Ausstellung hatte und diese für das Museum konzipiert hat. Dabei kooperierte sie mit einem großen Netz an Partner*innen. Besonders wichtig war die Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv und dem Verein Stolpersteine für Landshut – Gegen das Vergessen, um nur zwei von den 20 Partner*innen zu nennen. An den Texten für die Ausstellung wirkten neben Mitarbeiter*innen der Museen und des Stadtarchivs auch externe Fachleute mit. Schüler*innen aus P-Seminaren des Gymnasiums Seligenthal und des Hans-Carossa-Gymnasiums Landshut erstellten jeweils eigene Stationen im Museum.

Im Eingangsbereich der Ausstellung hängt ein großer Stadtplan von Landshut, darunter ein Zitat des Schriftstellers und Holocaustüberlebenden Primo Levi: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.“ Die Ausstellungsmacherin Doris Danzer arbeitet neben ihrer Anstellung am Museum als Stadtführerin und erklärt: „Ich wollte, dass die Menschen auch die Möglichkeit haben, die Orte aufzusuchen, um die es hier geht.“ Auf der Stadtkarte sind Straßen, Plätze und Häuser mit nationalsozialistischer Vergangenheit markiert, zu denen das Museum Stadtführungen anbietet. Die Stadtkarte liegt aber auch als faltbarer Plan aus, sodass man sich selbst auf den Weg machen kann.

Das Veranstaltungsprogramm des Museums umfasst außerdem Exkursionen zu Orten außerhalb der Stadt, Lesungen, Podiumsdiskussionen und Workshops für Kinder und Jugendliche. Danzer erzählt, dass der Workshop zu Fake News besonders gut ankomme. Darin lernen Jugendliche diese zu entschlüsseln und sprechen über die Funktion von Propaganda im Dritten Reich und der Manipulation der öffentlichen Meinung damals und heute. Auch der Workshop „Wozu Demokratie? Weil wir es wert sind!“ zur Extremismusprävention und Förderung demokratischer Resilienz sei gefragt. „Wir zeigen zwar Historisches, aber es geht immer auch um die Frage: Wie gehen wir heute mit der Erinnerung an so eine problematische Vergangenheit um?“, so Danzer.

Auf Grund der hohen Nachfrage wird das Führungs- und Workshop-Angebot im zweiten Halbjahr der Ausstellung erweitert auf Führungen, die sich speziell an Teilnehmende richten aus sog. Brückenklassen an Schulen sowie aus Integrationskursen, also an Personen mit geringen Deutschkenntnissen und aus internationalen kulturellen communities.

 


Opfer. Täter. Zuschauer.

„Natürlich waren wir begeistert!“ – Als ich die Kuratorin zum Eingangszitat im Titel der Ausstellung befrage, erzählt sie mir, dass Schüler*innen aus den P-Seminaren zunächst irritiert davon waren. Das Zitat stammt aus einem Zeitzeugengespräch, das Doris Danzer 2022 mit einer Landshuterin geführt hatte. Die Schüler*innen hätten lieber die Perspektive der Opfer oder des Widerstands dargestellt. Aber der Untertitel „Opfer. Täter. Zuschauer.“ ebenso wie das Eingangszitat „Natürlich waren wir begeistert!“ manifestiere die Grundidee der Ausstellung, so Danzer, die eben nicht nur die Opferseite und Widerstandsgeschichten beschreiben soll, sondern auch das Verhalten der Mehrheitsgesellschaft, also der Täter*innen, Mitläufer*innen, Profiteur*innen etc. in den Blick nimmt, um der Frage näherzukommen, wie es zu dieser Diktatur überhaupt kommen konnte.

Eine Skulptur mit den Namen, Lebensläufen und Fotos der wenigen Landshuter Widerständler*innen findet sich dennoch im ersten Stock der Ausstellung. Das Erdgeschoss ist aber den Opfern und Täter*innen gewidmet. Die biografischen Stelen und Schaukästen unterscheiden sich visuell: orange für die Opfer, dunkles Aubergine bis Schwarz für die Täter*innen. Es finden sich auch Video- und Audiostationen mit Zeitzeugenberichten in beiden Bereichen. „Die Opfer haben immer gesprochen“, sagt Danzer. „Wer nicht gesprochen hat, waren die, die in der Tätergesellschaft involviert waren. Die, die jetzt sprechen, sind die Enkel.“ Ergänzt werden die biografischen Stationen mit pinken Einleitungstafeln und Sprechblasen mit Fragen und Kommentaren, die zum Nachdenken und zur Diskussion heute anregen sollen.

Was zeigt man und was nicht?

Die Gegenstände in den Schaukästen hat das Museum nach einem Sammlungsaufruf in erster Linie von Privatpersonen erhalten. Gerade im Täterbereich fiel der Kuratorin die Auswahl schwer, weil sie dem NS-System keine Bühne habe bieten wollen. Aus diesem Grund habe sie sich für den Verzicht auf Devotionalien – also Orden, Uniformen etc. – entschieden. Stattdessen zu sehen sind Gegenstände, die Geschichten erzählen: Schulhefte, Bücher mit NS-Symbolik, ein Reisetagebuch und die Reisebroschüre „Kraft durch Freude“. Das nationalsozialistische Programm auf der Kreuzfahrt mit dem NS-Dampfer Ozeana zeigt beispielsweise, wie deren ideologische Vereinnahmung in jedem Bereich funktionierte.

 


Persönliche Geschichten erzählen auch die Alltagsgegenstände im Opferbereich. Oft ist nicht viel von ihnen erhalten. Besonders berührend finde ich den Brief einer jungen Frau an ihre Chefin auf dem Weg ins Vernichtungslager in Polen, der mit der Zeile endet: „Ich bin so traurig.“ Auch die ausgestellte Tracht eines ermordeten jüdischen Mitbürgers regt zum Nachdenken an. Es waren Menschen wie du und ich, die die Nazis verfolgten und ermordeten.


Anknüpfung an heute

Mit multimedialen und interaktiven Elementen schlägt die Ausstellung einen Bogen in die Gegenwart. Im Erdgeschoss findet sich die Garnitur eines alten Landshuter Kinos, in der ein gezeichneter Kunstfilm das Schicksal eines jüdischen Jungen im Holocaust erzählt. Im Obergeschoss hat das Museum eine Black Box eingerichtet. Hier findet sich eine Auswahl aus dem alten Bücherbestand einer Landshuter Schule mit völkischen, rassistischen und nationalistischen Inhalten. Diese lassen sich in der Black Box nur mit Hilfe einer Taschenlampe erschließen: Man muss genau hinsehen, um zu erkennen, welches Gedankengut sich hinter verharmlosenden Phrasen verbirgt.


Erinnern bedeutet auch: nicht zu vergessen. Spätestens seit dem rassistischen Attentat in Hanau gibt es deshalb Kampagnen mit dem Motto „Say their names“. In der Landshuter Ausstellung findet sich eine Tafel mit 82 Namen der 83 im Landshuter KZ-Außenlager ermordeten Häftlinge, die ein P-Seminar recherchiert hat. Eine Stele mit den Namen befindet sich auch auf dem Achdorfer Friedhof außerhalb der Stadt. Doris Danzer wünscht sich mehr solcher Erinnerungszeichen in der Landshuter Öffentlichkeit und mahnt: „Wir dürfen nicht vergessen, was passiert ist. Das gilt auch als Mahnung für heute, dass wir täglich für unsere Grundrechte einstehen müssen.“

Erinnerungskultur und Mahnmale in der Kunst

Zurück im KOENIGmuseum frage ich die Museumsleiterin und Kuratorin der Ausstellung Dr. Alexandra von Arnim, welche spezifische Perspektive die Kunst im Umgang mit Erinnerungskultur öffnet. „Nach der historischen Perspektive auf das Geschehen in der Stadt Landshut geht es im KOENIGmuseum um die nächsten beiden Schritte: das Mahnen und das Erinnern“, erklärt sie. „Hier stellen sich die Fragen: Was mahnt man in welcher Form an? Und woran erinnert man sich in welcher Form?“

Das Werk von Fritz Koenig ist prädestiniert für eine künstlerische Beschäftigung mit diesen Fragen. Seit den frühen 50er Jahren beschäftigte er sich in seinen Skulpturen und Grafiken mit dem Thema Erinnerung und schuf Mahnmale und Epitaphe, die an vielen öffentlichen Orten zu sehen sind. Der Kuratorin ist es erstmalig gelungen, den gesamten Werkkomplex Mahnmale in einer Ausstellung zu vereinen. Von vielen Skulpturen, die an anderen Orten angebracht sind, zeigt sie Abgüsse oder zumindest Entwurfsskizzen und Modelle.

Erinnert und berührt – Emotionen durch Kunst

Alexandra von Arnim hat sich für die Ausstellung entschieden, die Werke von Fritz Koenig mit anderen Formen von Erinnerungskultur zu kombinieren. Gleich im ersten großen Raum, der gleichzeitig den Eingangsbereich des Museums darstellt, ist ein Video der Blue Man Group an die Wand projiziert. Zu sehen sind nach unten schwebende Zettel, Kalenderblätter, Notizen etc., die nach dem Attentat auf das World Trade Center am 11. September 2001 geborgen wurden. Sofort habe ich wieder die Bilder von damals vor Augen. Die Leichtigkeit der Papiere in dem Video bilden einen spannenden Kontrast zu den massiven Skulpturen von Koenig.

Der nächste Raum ist der Beschäftigung des Bildhauers mit der Figur des Hiob gewidmet. Hiob bezeichnet eine biblische Person, die für das Leiden schlechthin steht. Ein Abguss der in der Ausstellung zu sehenden Skulptur von Koenig befindet sich auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Flossenbürg. Die Figur des Hiob ist abstrahiert, klar erkenntlich sind vor allem die vor dem Gesicht zusammengeschlagenen Arme. Diese Geste suggeriert die unermessliche Traurigkeit der Figur und berührt mich sehr. In der Museumsbroschüre finde ich später folgende Worte der Kuratorin: „Im Laufe des 20. Jahrhunderts begannen viele Künstler abstraktere Ansätze für Denkmäler zu entwickeln. Diese waren weniger ausgerichtet, eine bestimmte Person oder ein bestimmtes Ereignis darzustellen, sondern vielmehr darauf, abstrakte Ideen, Emotionen oder Konzepte zu vermitteln.“

 

Stimmen der Erinnerung

Ein weiterer Raum beschäftigt sich mit der Kugelkaryatide von Koenig. Ausgestellt auf der Plaza des World Trade Centers wurde sie am 11. September 2001 unter den Trümmern begraben und beschädigt, jedoch nicht vernichtet. 2017 wurde die Kugelkaryatide in ihrer beschädigten Form neben dem 9/11 Memorial Site wieder aufgestellt und damit in ein Mahnmal umfunktioniert. Neben den skulpturalen Entwürfen der Skulptur findet sich in der Ausstellung eine Präsentation des Projekts „What does the Sphere (Kugel) mean to you?“. Hierbei ging es darum zu erfahren, wie sich die Kugel auf die Besucher*innen der Stätte auswirkt. Viele antworteten, dass sie ein wichtiges Symbol für das Überleben, die Widerstandsfähigkeit und die Hoffnung der Menschheit sei.

Weitere Stimmen hat von Arnim mit der Wanderausstellung „Was konnten sie tun? Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ ins Museum geholt. Die Infotafeln knüpfen direkt an der Skulptur der Pietà von Fritz Koenig an, deren Original in der Kirche Maria Martyrum in Berlin Plötzensee steht, wo während der NS-Diktatur Widerständler*innen hingerichtet wurden. Die Tafeln erzählen die Lebensgeschichten von teilweise in Vergessenheit geratenen Personen und zeigen die Fotos von vielen noch jungen Gesichtern. Damit bieten sie jüngeren Besucher*innen einen direkten Anknüpfungspunkt.


Auch das Zweitzeugenprojekt, eine aus NRW eingeladene Initiative, spricht vor allem Jugendliche an. Workshops sollen sie dazu befähigen und ermutigen, die Geschichten von Zeitzeug*innen weiterzutragen. Die Museumsleiterin erklärt: „Hier geht es um oral history: persönlich erlebte Geschichten von Menschen zu hören, die vielleicht in einigen Jahren nicht mehr zu hören sein werden. Und es geht darum, die nächste Generation als Zweitzeugen einzubinden. Es war mir wichtig, das Museum aktiv ins Geschehen einzubringen, es nicht nur als Ausstellungsort zu positionieren, sondern als Dialogort, als Platz des Austauschs über aktuelles Geschehen.“

Wirkung entfalten

Ein Medienraum mit Filmen über Koenig und seine Kunst sowie ein Raum mit seinen Entwürfen für das Holocaustdenkmal in Berlin erweitern ebenfalls das Verständnis des ausgestellten Werks. Für mich besonders eindrücklich sind die neben den Skulpturen angebrachten großformatigen Bilder ihrer tatsächlichen Standorte. Auch Alexandra von Arnim ist es ein besonderes Anliegen den jeweiligen Kontext aufzuzeigen, für den Koenig die Skulpturen schuf. Die Fotos vermitteln einen Eindruck davon, welche Wirkung die monumentalen, oft sehr massiven Werke an ihren Standorten entfalten, die sich häufig im Freien befinden.


Als ich das Museum verlasse, ist die Hängung des Neon-Kunstwerks von Kuck abgeschlossen. In Weiß und Rot leuchtet es auf blauem Glas: Never again … is now. Damit bespielt das Museum anlässlich des Museumstags das erste Mal seine Außenmauer. Die Installation bleibt bis zum Ende der Ausstellung zur Erinnerungskultur hängen. Nach einer ersten Station am Münchner Rathaus und der zweiten Station nun am Landshuter KOENIGmuseum wäre es eine schöne Gelegenheit, das Kunstwerk danach weiter wandern zu lassen – damit wir eben nicht vergessen und uns daran erinnern, wie wichtig es gerade heute wieder ist, uns für unsere Demokratie einzusetzen.

 

Text und Fotos von Christina Madenach

 

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