Beitrag von Siegfried Dengler, dem Leiter des Stadtplanungsamts Nürnberg, der für eine Stadt von morgen plädiert, als einem Ort, der Gesundheit und Wohlbefinden aktiv fördert und beeinflusst.

Berlin, copyright: Siegfried Dengler

Gesundheit und Kultur, was hat das miteinander zu tun?

Die Stadt wird von Menschen gebildet. Sie ist mehr als eine Ansammlung von Gebäuden. Sie bietet Heimat, Schutz, Arbeit, Begegnung. Stadt ist gespeicherte Geschichte und das größte Artefakt, das unsere Zivilisation hervorgebracht hat. Sie ist vor allem auch ein soziales und kulturelles Phänomen.

Weltweit leben weit mehr als die Hälfte aller Menschen in Städten, in Deutschland werden es bald 80 % sein. In den Städten gibt es die meisten Arbeitsplätze, hier wird produziert, geforscht, Wissen erzeugt und Wissen vermittelt. Hier wird Handel getrieben, hier sind die kulturellen Zentren, die Orte der Kreativität und der sozialen Integration.

Die Instrumente der Stadtplanung sind im Wesentlichen im Baugesetzbuch verankert und hier heißt es bereits in § 1: „Die Bauleitpläne sollen eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung gewährleisten. Sie sollen dazu beitragen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln.“ Besonders zu berücksichtigen seien u.a. „die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse [...], die sozialen und kulturellen Bedürfnisse, [...] sowie die Belange des Bildungswesens und von Sport, Freizeit und Erholung, die Belange der Baukultur, des Denkmalschutzes, die erhaltenswerten Ortsteile, Straßen und Plätze von geschichtlicher, künstlerischer oder städtebaulicher Bedeutung und die Gestaltung des Orts- und Landschaftsbildes.“ Zweifelsohne ist das eine große und anspruchsvolle Aufgabe, aber was sollte sonst die Aufgabe von Architekt*innen und Stadtplaner*innen sein, wenn nicht für eine gesunde und lebenswerte Umwelt zu sorgen?

Es steht schwarz auf weiß im Gesetz: Stadtplanung hat gesundheitliche und kulturelle Belange zu berücksichtigen. Die Stadtplanung, wie wir sie heute kennen, war die Reaktion auf die Lebensverhältnisse der Menschen zu der Zeit, in der sie als moderne Disziplin entstanden ist – nämlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Vordringliches Ziel war es, für gesunde Lebensverhältnisse zu sorgen. Aus heutiger Sicht selbstverständliche Dinge: Kanalisation, Wasserversorgung, Elektrizität, Verkehrswege, gesunder Wohnraum, die Trennung von Wohnen und Arbeit, von Produktion und Reproduktion. Die Ursprünge der modernen Stadtplanung hatten also durchaus mit dem Thema Gesundheit zu tun, sie war geradezu die Reaktion auf ungesunde Lebensverhältnisse.

Nelson-Mandela-Platz in Nürnberg (geplante Umgestaltung 2018), copyright: Stadtplanungsamt Nürnberg

Die Zustände in den Städten heute können jedoch der Gesundheit abträglich sein. Lärm, Verkehr, überall drängelnde Menschen: Das Leben in Großstädten ist sehr stressig. Und Stress, das vermuten Forscher*innen schon länger, kann das Auftreten von Schizophrenien, Depressionen und Angststörungen begünstigen und deren Verlauf beeinflussen.

Studien zeigen, dass das Schizophrenierisiko in der Stadt doppelt so hoch ist wie auf dem Land. Die Wahrscheinlichkeit für Großstadtbewohner* innen, an einer Depression zu erkranken, liegt um etwa 40 Prozent höher, bei Angststörungen sind es 20 Prozent. Burn-out gehört heute schon zum guten Ton.

„Stress im urbanen Kontext ist sozialer Stress“, sagt Mazda Adli, ärztlicher Leiter der Berliner Fliedner Klinik. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie vermutet, dass die Mischung aus sozialer Dichte und sozialer Isolierung toxisch ist und den Stadtstress ausmacht. Dieser Stress werde vor allem dann gesundheitsrelevant, wenn der Einzelne sich nicht nur räumlich eingeengt und zugleich isoliert fühlt, sondern auch das Gefühl hat, sein eigenes Leben nicht im Griff zu haben und seine Umgebung nicht kontrollieren zu können.

Dabei ist die Gesundheitsversorgung in Städten besser als auf dem Land, die kulturelle und gesellschaftliche Vielfalt steigert die Lebensqualität, und Städte bieten besonders viele Möglichkeiten, sich zu entfalten. Welche Faktoren des Stadtlebens für die Psyche wirklich schädlich sind, ist noch äußerst unklar, kann aber vermutet und auch im Selbstversuch erlebt werden.

Um zu erkennen, welche Faktoren des Stadtlebens der Gesundheit schaden und welche ihr nutzen, ist für Adli eine enge Zusammenarbeit zwischen Stadtplaner*innen und Architekt* innen einerseits und Neurowissenschaftler* innen und Psychiater*innen auf der anderen Seite nötig.

Berlin, copyright: Siegfried Dengler

Eine gesundheitsförderliche Stadtplanung konzentriert sich auf die positiven Wirkungen, die Stadtplanung auf die Bedürfnisse, die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Lebensqualität der Bürger*innen haben kann, und spiegelt so die weit gefasste Definition der WHO von Gesundheit wider.

Es sollte unsere Aufgabe sein, lebenswerte und schöne Städte zu schaffen, manchmal müsste man sie nur erhalten. Städte, die den Bedürfnissen der Menschen gerecht werden. Städte, die mit ihren Gebäuden und öffentlichen Räumen Begegnung, den sozialen Austausch ermöglichen.

Breitere Bürgersteige, eine Sitzbank vor dem Haus, mehr Grünflächen, ein Brunnen an der richtigen Stelle, Kunst als poetische Überhöhung im öffentlichen Raum, möglichst unverbaute Aussicht sind nur einige Bestandteile einer gesundheitsfördernden Umgebung. Noch wichtiger ist es aber, Begegnungsmöglichkeiten anzubieten. „Jeder Plausch mit den Nachbarn tut gut. Ein Park, in dem gegrillt wird, bringt mehr als eine perfekte Grünanlage“, sagt ein Facharzt.

Der gesamtgesundheitliche Ansatz stellt neue Herausforderungen an die Städte der Zukunft. Das Individuum von heute möchte nicht mehr nur einfach gesund – im Sinne von „nicht krank“ –, sondern auch fit und voller Lebensenergie sein. Diese Anforderung wirkt sich nachhaltig auf den Wohn- und Lebensraum aus. Lebenswerte Städte definieren sich nicht mehr nur über eine effiziente Infrastruktur, sondern sie bieten Anreiz und Stimulation, Erholung und Rückzug gleichermaßen.

Im globalen Wettbewerb der Städte und Regionen um Einwohner*innen werden diese Faktoren wichtige Erfolgskriterien. Die Stadt von morgen wandelt sich von der reinen Versorgungsumgebung zu einem Ort, der Gesundheit und Wohlbefinden aktiv fördert und beeinflusst.

 

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