Auszug aus dem Beitrag von Dr. Christine Fuchs im Bayerischen Bürgermeister April 2018

 

Was hat Kunst mit Gesundheit zu tun?

Bei dem Projekt kunst&gesund geht es um das Verhältnis und die Wechselwirkungen zwischen Kunst und Gesundheit und hier insbesondere um die Frage, welchen Einfluss die Künste auf die Gesundheit haben oder haben können.

Doch eignet sich Gesundheit überhaupt als Thema für Kunst? Sind nicht viel eher Krankheit und Leiden die Felder, denen sich Künstler*innen widmen? Joseph Beuys formulierte dies in seinem Werk „Zeige deine Wunde“ geradezu programmatisch. Künstler*innen legen ihre Finger oft auf die wunden Stellen unserer Gesellschaft und thematisieren Flucht, Umweltzerstörung und menschliches Elend. Doch geschieht dies nicht, um noch mehr zu zerstören, sondern um sichtbar zu machen, zu bearbeiten und ggf. zu transformieren.

Joseph Beuys und die Idee der Sozialen Plastik

Das Thema knüpft an die Diskurse der 1970er Jahre an, an das Verständnis von Kunst als sozialer Prozess, mit Joseph Beuys als prominentestem Vertreter und Begründer der Idee der Sozialen Plastik als einer gesellschaftsverändernden Kunst. Kunst wird als lebensformendes Medium verstanden, eine Idee, die auch die deutsche Romantik bestimmte und den großen gesellschaftsverändernden Utopien der Avantgarden zugrunde liegt. In aktuellen ästhetischen Theorien finden sich heute wieder Ansätze, die die Relevanz künstlerischer Arbeit für Entwicklungs- und Veränderungsprozesse betonen und diese phänomenologisch begründen. Grundlage ist eine sinnlich-ästhetische Wahrnehmung, die nicht das „Was“, sondern das „Wie“, nicht die Funktion, sondern die Qualitäten wahrgenommener Sinneseindrücke in den Mittelpunkt rückt. Ein ähnlicher Ansatz findet sich in der Soziologie der Resonanz, wonach die Qualität der Weltbeziehung für ein gelingendes Leben entscheidend ist.

In ihrem weitesten Sinn ist Kultur Ausdruck des menschlichen Zusammenlebens und bildet – so der britische Kulturtheoretiker Terry Eagleton – das soziale Unbewusste unserer Gesellschaft. Die Künste wirken in das soziale Unbewusste hinein und reflektieren es.

Kunst ist Kunst

Ein Festival mit dem Fokus auf Kunst und Gesundheit hat einige Hürden zu nehmen und Falltüren zu umgehen. Künstlerisch-kuratorisch betrachtet, bereitet die Sorge vor einer Instrumentalisierung der Kunst die größten Bauchschmerzen, weil diese zu inhaltlichen Verkürzungen, zu ungewollten Bewertungen oder zum Verlust an künstlerischem Niveau führen könnte. Vorbehalte gegenüber dem Thema kunst&gesund können auch mit der Eigentümlichkeit der Kunst zu tun haben, die eher das Brüchige betont und – so formuliert es der Philosoph Byung-Chul Han – die Wunde als ihr Wesentliches ansieht, nicht das Glatte und Gesunde.

Die Sorgen sind ernst zu nehmen und machen einige Vorbemerkungen zum Selbstverständnis dieses Projekts notwendig: Kunst ist Kunst. Sie ist weder gesund noch krank. Kunst kann ebenso gesund wie krank machen – je nachdem, was wie wem erscheint und wie es erlebt wird.

Unter dem Titel kunst&gesund soll keine „gesunde Kunst“ propagiert werden. Die historische Erfahrung aus dem Kunstdiktat des Dritten Reiches – das die Werke von Wilhelm Lehmbruck, Emil Nolde und Pablo Picasso als geisteskrank und als entartete Kunst diffamierte, Musiker wie Hanns Eisler und Arnold Schönberg mit Aufführungsverboten belegte und Bücher von Schriftsteller*innen wie Marieluise Fleißer und Erich Kästner öffentlich verbrannte – zeigt, wie sehr die Kunst und der öffentliche Umgang mit ihr Indikator für die innere Verfasstheit, das Menschenbild und das Freiheitsniveau einer Gesellschaft ist. An den damaligen Propagandaausstellungen der Nationalsozialisten in München lassen sich auch die Bewertungen von Gesundheit und Krankheit ablesen. Bei dem aktuellen Projekt kunst&gesund setzen sich die Künstler*innen mit den heutigen Gesundheitsvorstellungen auseinander, bei denen Leistungsfähigkeit und Selbstoptimierung dominieren.

Zentrum des Kunstverständnisses von STADTKULTUR ist die – nicht nur ästhetische, sondern auch gesellschaftlich-rechtliche – Autonomie der Kunst. Kunst ist frei, sie findet ihren Sinn und ihren Zweck in sich selbst. Und auch, wenn sich die Künste mit anderen Zwecken verbinden können – z. B. in der Werbung, im Design, in der Soziokultur oder in der politischen Kunst –, so befinden sich diese Verbindungen immer in einem gewissen Spannungsverhältnis, das sich selbst kritisch hinterfragen muss.

Die Künste haben gesellschaftspolitische Relevanz und erfüllen wichtige gesellschaftliche Aufgaben – und zwar gerade dadurch, dass sie autonom und zweckfrei sind. Beispielsweise trägt die Verwirklichung künstlerischer Freiheit dazu bei, die Freiheitsrechte unseres Grundgesetzes auszugestalten.

Ähnlich könnte es mit den heilsamen Wirkungen der Künste sein. Kunst ist vor allem Selbstzweck, wird um ihrer selbst willen geschaffen und ist ein Wert in und an sich. Und gerade weil Kunst vermeintlich nutzlose l’art pour l’art ist, vermag sie den an Burnout leidenden Menschen unserer Leistungsgesellschaft wieder Zugang zu Sinnlichkeit, Lebenssinn und Lebensfreude zu schenken.

Künste als Heilmittel

Beim Thema Kunst und Gesundheit werden die meisten Menschen an Bilder in Krankenhäusern und Arztpraxen denken. Auch wenn die potenziell heilsamen Wirkungen der Künste in der breiten Öffentlichkeit noch wenig bekannt sind, den Kulturschaffenden sind sie bestens vertraut. Künstlerische Therapien wurden entwickelt, die mittlerweile in vielen Kliniken eingesetzt werden, beispielsweise in der Psychiatrie, Psychosomatik, Onkologie und Rehabilitation.

Medizinisch sind die heilsamen Wirkungen der Künste noch wenig erforscht. Erste Anfänge gibt es jedoch. So wurden in mehreren Studien die Wirkungen künstlerischen Tuns – wie beispielsweise das expressive Schreiben oder das Hören von Musik – auf das Immunsystem untersucht und positive Ergebnisse nachgewiesen. Solche Forschungen können nützlich sein. Wenn wir mehr über die heilsamen Wirkungen der Musik wüssten, könnte dies auch kulturpolitische Diskussionen bereichern. Vielleicht wäre es dann möglich, einen Konzertsaal nicht nur als eine kostenintensive Kulturimmobilie zu sehen, sondern auch als ein Heilmittel. In der arabisch-islamischen Medizin jedenfalls wusste man bereits vor über 1.000 Jahren um die heilsamen Wirkungen von Musik, Literatur und Atmosphären. So wurden im Zentrum von Krankenhäusern Orchesterräume mit akustischen Leitungen zu allen Zimmern gebaut und nervenkranke Frauen und Männer mit Musik behandelt. Das berichtete Prof. Dr. Marion Ruisinger, die Direktorin des Deutschen Medizinhistorischen Museums Ingolstadt.

In unserer effizienzgeplagten Leistungs- und Konsumgesellschaft wird das zweckfreie Tun der Künste zu einem therapeutischen Überlebensmittel, das für Therapien und zur Vorsorge eingesetzt wird.

 

GESAMTER BEITRAG

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