Versuch einer Orientierung: Der Anspruch einer klimagerechten Kulturpolitik entfaltet seit einiger Zeit eine deutliche Dynamik. Was aber ist genau damit gemeint? Nicht wenige Kolleginnen und Kollegen fragen sich, wo die Schnittmengen von Klimapolitik und Kulturpolitik sind?

Impuls von Achim Könneke (Kulturreferent Würzburg und Vorsitzender STADTKULTUR) beim Runden Tisch Städtenetzwerk STADTKULTUR e. V., 29.01.2021 (nachträgliche textliche Zusammenfassung einer PowerPointPräsentation)

Kulturpolitik als Klimapolitik?

Ich hole zur Antwort etwas aus: Kulturpolitik und damit auch öffentlich getragene Kulturarbeit und Kultureinrichtungen haben eine zweigleisige Verantwortung: zum einen  (neben der Pflege und Vermittlung des kulturellen Erbes und der Kulturellen Bildung) für die Künste, konkret für ihre freie und vielfältige Entwicklung durch Produktion, Vermittlung und Förderung; zum anderen für die Gesellschaft. Wobei die heute ebenso ausdifferenziert ist wie die Künste. Gesellschaft heute meint eine zunehmend plurale, singularisierte und diverse demokratische Gesellschaft. Kulturpolitik und öffentliche Kultureinrichtungen haben also die Verantwortung (oder Verpflichtung), möglichst vielen Gruppierungen und Individuen dieser immer bunteren Gesellschaft künstlerische, kulturelle, diskursive Angebote zur Selbstvergewisserung, Orientierung und Horizonterweiterung zu bieten. Insofern haben die kommunale Kulturpolitik und der öffentliche Kulturbetrieb einen politischen Auftrag zur Demokratiegestaltung und Entwicklung gesellschaftlicher Zukunftsfähigkeit.

Damit steht die Frage im Raum, ob Kulturpolitik ihren Anspruch auf Mitgestaltung unserer liberalen demokratischen Gesellschaft und ihrer Zukunft ernsthaft beanspruchen kann, wenn sie die zentrale, epochale und globale Herausforderung unserer und sicher vieler nachfolgender Generationen, den Klimawandel, ausblendet und sich für nicht zuständig hält.  

Nachhaltigkeit hat in der Kulturpolitik schon lange eine hohe Relevanz. Seit den 1990er Jahren wird – etwa von der Kulturpolitischen Gesellschaft – für den Anspruch geworben, Kultur als vierte Säule der Nachhaltigkeit bzw. überzeugender als querliegende Basis der drei Säulen Ökonomie, Ökologie und Soziales zu verstehen und den Anspruch der Nachhaltigkeit vor allem als den eines erforderlichen Kulturwandels zu begreifen und ganzheitlich zu gestalten.

Wie erfolgreich diese Bestrebungen waren, muss hier nicht diskutiert werden. Wichtig ist mir, darauf hinzuweisen, dass im engeren Kunst- und Kulturbetrieb Nachhaltigkeit bisher überwiegend mit einem Fokus auf die sozialen und Bildungsaspekte – zumindest ansatzweise – entwickelt wurde, Stichworte: Kulturelle Bildung, kulturelle Teilhabe, Inklusion, Diversität und Vielfalt.

Erfreuliche Dynamik

Seit und dank Fridays for Future erleben wir endlich eine deutlichere Dynamik im Kulturbereich, auch die kulturpolitische Verantwortung für ökologisch verantwortbare und klimagerechte Kulturarbeit zu reflektieren und Handlungsoptionen auszuloten.  

Die 17 Sustainability Developement Goals (SDG’s) der Vereinten Nationen, die Klimaziele der EU und des Bundes erfordern ebenso wie die Ausrufung von Klimanotstand oder gegebene Klimaversprechen der Kommunen ein grundsätzliches Umdenken. Allein das Erreichen der klimaneutralen Stadt oder auch nur der klimaneutralen Stadtverwaltung erfordern auf allen Ebenen und in allen Bereichen kurzfristig extrem anspruchsvolle Zielsetzungen und vor allem konkrete Umsetzungen.

Ein großer Teil der 17 SDG‘s betrifft direkt unseren kulturpolitischen Verantwortungsbereich und die Arbeit unserer Kultureinrichtungen. Sie stellen, so Maja Göpel „soziale und ökologische Ziele in Beziehung zueinander und stellen die Frage, wie wir durch umfassende Innovationen – kulturell sozial, politisch, ökonomisch und technologisch – ihre Vereinbarkeit hinbekommen ... Wir müssen sie nur ernst nehmen und loslegen." (Maja Göpel im Interview des IPG Journals vom 14.7.2020). Es geht also nicht einfach um Ökologie, sondern um einen ganzheitlichen Ansatz für ein gutes Leben bzw. um nicht weniger als ein „erweitertes Zivilisations- und Gerechtigkeitsmodell“ (Uwe Schneidewind).

Erfreuliche Dynamik in der Kultur

Der Anspruch zu klimagerechter Kulturarbeit zieht sich durch alle Bereiche der Kulturlandschaft. Vorreiter waren Kunstprojekte wie die Ausstellung „Zur Nachahmung empfohlen“ oder das Festival „Save the world“. Und in der Kunstförderung Großbritanniens mit seinem Arts Council, der als größter Kulturförderer seine Förderungen schon seit zehn Jahren an Nachhaltigkeitsberichterstattungen knüpft. Der Deutsche Kulturrat hat 2019 seine Resolution „Klimaschutz braucht kulturellen Wandel“ beschlossen: „Es bedarf Haltung und Verantwortung für unsere Zukunft. Es gilt eine umfassende Aufbruchsstimmung zu stiften ... Der Kulturbereich sieht sich hier in der Verantwortung.“ Konkret gefordert wird hier u.a. „die Förder- und Vergaberichtlinien so zu ändern, dass Nachhaltigkeit ein wichtiges Kriterium wird und damit Impulse gesetzt werden.“ Die Kulturstiftung des Bundes hat ebenfalls angekündigt, in absehbarer Zeit ihre Kulturförderungen an den Nachweis konkreter Klimaziele der Einrichtungen zu koppeln.

Aktuell ermöglicht sie in einem bundesweiten Modellprojekt 19 sehr unterschiedlichen Kultureinrichtungen in einem Konvoi-Verfahren Klimabilanzierungen zu erarbeiten. Sicher ein richtiger erster Schritt, um über einen mehrmonatigen bis einjährigen Untersuchungszeitraum überhaupt erst einmal einen genauen Überblick zu erhalten, in welchen konkreten Bereichen einer Einrichtung besondere Herausforderungen und besondere Handlungspotenziale bestehen. Eine Reihe großer Museen hat einen Brief an die Kulturstaatsministerin geschrieben mit der Bitte um klare und anspruchsvolle gesetzliche Trägervorgaben, damit entsprechender Handlungsdruck entsteht, Tenor „Zwingt uns!“ Im Deutschen Bibliotheksverband wird schon länger und engagiert an Nachhaltigkeitsorientierung gearbeitet. Besonders weit vorn ist die Filmindustrie. Seit Jahren gibt es einen engagierten Arbeitskreis „Green Shooting“, es existieren bereits bundesweite Zertifizierungen, Förderungen werden zunehmend an Nachhaltigkeitsziele gekoppelt. Auch im Bereich Soziokultur existieren mutige Modellprojekte.

Die Kulturpolitische Gesellschaft KuPoGe hat ein vom Bund gefördertes dreijähriges Forschungs- und Vermittlungsprojekt zu klimagerechter Kulturpolitik gestartet. Im September 2020 fand eine erste mehrtägige Sommerakademie in Wuppertal statt. Hier wurde auch das neue bundesweite Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit in Kultur und Medien erstmals öffentlich vorgestellt, bei dem mit BKM, KuPoGe, Deutschem Bühnenverein auch künstlerische Dachverbände und Städte wie Bonn und demnächst auch Würzburg Partner sind. Dieses kontinuierlich wachsende Netzwerk bietet Beratung, entwickelt Projekte und bietet Fortbildungen wie demnächst eine erste Werkstatt zur Betriebsökologie.

Klimagerechtigkeit und Gemeinwohlorientierung als kulturpolitische Herausforderung

Grundsätzlich wissen wir, wohin die Reise gehen muss. Wir müssen auf allen Ebenen und Bereichen der Gesellschaft, der Kommunen und also auch in unseren Kultureinrichtungen und bei unseren Veranstaltungen unsere ökologischen Fußabdrücke verkleinern und unsere CO2-Bilanzen deutlich verbessern. Darüber hinaus müssen wir aber auch unsere Arbeitsweisen, unsere Organisationsstrukturen und die diesen Strukturen zugrunde liegenden kulturellen Triebkräfte selbstkritisch überprüfen, um über einen Bewusstseins- und Kulturwandel nachhaltig zukunftsfähig zu werden.

Dieser Anspruch ist ganzheitlich in allen unseren Verantwortungsbereichen der Kunstproduktion, der Betriebs- und Veranstaltungsorganisation ebenso wie im Management, der PR, der Vermittlung und Kulturpädagogik zu reflektieren. Und nicht zu vergessen: in der Kunst- und Kulturförderung, die in vielerlei Hinsicht sicher nicht den Maßstäben der Agenda 2030 entspricht.

Das alles ersetzt keine gesetzlichen Vorgaben und auch keine städtischen Klimaschutzkonzepte, Stadtratsbeschlüsse und Dienstanweisungen zu nachhaltigem Bauen und Sanieren, zu neuen Mobilitäts- und Energiestandards, zu konsequenter nachhaltiger Beschaffung und vielem mehr, wo sich die Kommunen auf den Weg machen müssen. Aber unsere kulturpolitischen Anstrengungen sollten ein adäquater Baustein dieses Bewusstseins- und Kulturwandels werden, und wir sollten uns nicht wegducken, sondern selbstbewusst Verantwortung übernehmen und die Relevanz des Kulturbereichs für den erforderlichen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel vermitteln – und einzulösen versuchen.

Wie anfangen?

Es existieren bereits eine ganze Reihe von Handlungsleitfäden, die alle im Netz verfügbar sind: etwa „Einfach machen. Ein Kompass für ökologisch nachhaltiges Produzieren im Kulturbereich“ der Kulturstiftung des Bundes, der „Leitfaden für die nachhaltige Organisation von Veranstaltungen“ des Umweltbundesamts, der „Green Touring Guide. Ein Leitfaden für Musiker, Künstler- und Tourneemanager, Veranstalter, Venues und Bookingagenturen“ des Green Touring Network, das „Praxisheft für klimafreundliche Veranstaltungen in der soziokulturellen Praxis“ von 2n2k Netzwerk Nachhaltigkeit in Kunst und Kultur oder auch der „Inspirador. Internationaler Leitfaden für ein nachhaltiges Kulturmanagement des Goethe-Instituts.

Erste Ziele

Klimawandel erfordert einen Bewusstseinswandel, Bewusstseinswandel ermöglicht erst einen wirklichen Kulturwandel. So wird es zuerst darauf ankommen, KlimaKulturPolitik als ein kulturpolitisches Schwerpunktthema zu etablieren und zu vermitteln, dass und wie Kulturpolitik, will sie gesellschaftlich nachhaltig wirken, hier eine gesellschaftspolitische Gestaltungsaufgabe hat. Besondere Möglichkeiten haben wir aber auch, da Kultureinrichtungen und -veranstaltungen aufgrund ihrer herausgehobenen Multiplikatorenrolle besondere Potenziale für die Vermittlung von Zukunftsentwürfen haben und so vielfältig in die Gesellschaft wirken können – und ja eigentlich auch wollen.

Fazit

Niemand muss auf Vorgaben warten, auf allen Ebenen ist es möglich, seine Handlungsoptionen auszuloten, Ziele und Maßnahmen zu definieren. Unser Städtenetzwerk STADTKULTUR kann mit seinem aktuellen Schwerpunkt Nachhaltigkeit und Klimagerechtigkeit also ganz vorn mit dabei sein. Unseren besonderen Vorteil als Netzwerk, in dem wir solidarisch miteinander und voneinander über Projekte lernen und in die Öffentlichkeit vermitteln können, sollten wir engagiert nutzen.

Ausblick: Für November planen die Evangelische Akademie Tutzing, die KuPoGe und STADTKULTUR eine Tagung „Weitergehen – 20 Jahre Tutzinger Manifest“, bei der wir die zukunftsweisenden kulturpolitischen Dimensionen der Nachhaltigkeit breiter diskutieren werden.

 

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