Anlässlich des 100. Geburtstags von Joseph Beuys finden in bayerischen Städten „Eichenpflanzungen zu Ehren von Joseph Beuys“ statt. Mit diesem Projekt würdigt das Netzwerk STADTKULTUR den Künstler und erinnert an das Kunstwerk „7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ in Kassel, das die gesamte Stadt zum Gestaltungsfeld und zu einer „Sozialen Plastik“ werden ließ.

 

 

 

Die Geschichte der „7000 Eichen“
Joseph Beuys war seit 1964 regelmäßig zur documenta in Kassel eingeladen. Zur documenta 7 im Jahr 1982 entschied er sich für das monumentale Kunstprojekt „7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ in Kassel, das zum Inbegriff seiner Idee von der „Sozialen Plastik“ wurde, einer großen ökologischen Transformation, die einen ganzen Stadtraum, ja eine ganze Stadt, verändern sollte, dabei alle Bürger*innen einbezog, zu einer Neuorientierung im Bewusstsein der Menschen und der Politik führte und letztlich auf neue Handlungsformen und Lebensweisen zielte. Die politischen und gesellschaftlichen Diskussionen der Zeit damals waren dominiert von der Friedens- und Ökologiebewegung, die Grüne Partei war gerade gegründet worden, das Waldsterben eines der wichtigsten Themen. In diese Situation intervenierte Beuys mit einer spektakulären Kunstaktion, die die Kasseler Bürger*innen bis zur nächsten documenta und darüber hinaus in Bewegung hielt.

Vor dem Museum Fridericianum – dem Hauptgebäude der documenta – ließ er 7000 Basaltstelen zu einer großen keilförmigen Skulptur aufhäufen. An der Spitze dieses Basaltkeils, der direkt vor dem Eingang des Gebäudes endete, war die erste Eiche gepflanzt worden. Neben ihr stand in einem Meter Abstand eine der Basaltstelen. Diese Skulptur war das Eingangsbild, mit dem eine große Pflanzaktion und die Umgestaltung der Stadt Kassel begann, denn bis zur nächsten documenta sollte der Steinberg nach und nach abgetragen werden. Jede der Stelen sollte einen Platz im Kasseler Stadtraum finden und neben ihr sollte eine Eiche gepflanzt werden. An der Pflanzung sollten sich Bürger*innen beteiligen, die Baumpatenschaften übernehmen konnten, die Aktion mitfinanzierten, geeignete Standorte suchten und sich um das Wässern der Bäume kümmerten.

Baum und Stein bilden eine Einheit und markieren zwei Pole. Zum einen die Basaltstele, die ihre Form einem natürlichen Gestaltungsprozess verdankt, die sich aus der ehemals flüssigen Lava herauskristallisiert hat und deren Formprozess an ein Ende gekommen ist, und zum anderen der junge Baum, der weiterwächst, sich entfaltet und seine Form erst noch im Laufe der Jahre herausbildet.

„7000 Eichen“ heute

Die documenta 7 ist nun fast 40 Jahre her. Was bedeuten die „7000 Eichen“ heute?
7000 Steine sind gesetzt, 7000 Bäume in Kassel wurden gepflanzt und sind angewachsen. Das Kunstwerk hat sich verändert und verändert sich ständig weiter. Je nach Wetter und Jahreszeit zeigen sich andere Bilder. Bäume wachsen und die Proportionen zwischen Baum und Stein verschieben sich. Manche Bäume gehen ein und müssen neu gepflanzt werden, hin und wieder müssen neue Standorte gesucht werden, weil das Klima und die Stadt sich verändern. Bei der Entstehung des Werkes haben viele Menschen mitgearbeitet. Auch heute noch wirken Menschen und Bäume zusammen – wenn es darum geht, die Standorte zu erhalten, oder wenn die Bäume bei Trockenheit zu wässern sind.

 

Markante Veränderungen der Stadt sind in Kassel sichtbar.

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Stifterstraße, Kassel © Stiftung 7000 Eichen Kassel

 

„7000 Eichen“ können ein Modell, ein Vorbild für den großen Transformationsprozess sein, den wir weltweit zu bewältigen haben. Im Hinblick auf den Klimawandel wird Nachhaltigkeit als rein ökonomisches Prinzip der Forstwirtschaft nicht reichen. Nachhaltigkeit bedeutet, nur so viele Bäume abzuholzen, wie in der gleichen Zeit nachwachsen können. Die Transformation benötigt jedoch mehr: einen Impuls, der in eine andere Richtung weist und eine andere Aktivität entfaltet. Wie bei den 7000 Eichen in Kassel geht es heute weltweit um aktives Aufforsten, um ein Zurückbauen von Straßen, Parkplätzen und versiegelten Flächen. Gestaltungen, die gegen die Natur, die gegen Lebendiges gerichtet sind, müssen zurückgenommen werden.
Dabei geht es auch um ein neues Verständnis von Natur und Kultur, es geht darum, Handlungsweisen umzustellen, mit der Natur und nicht gegen sie zu arbeiten, lebendige Naturräume wiederherzustellen. In einer größeren, globalen Perspektive bedeutet dies, menschliche Kreativität in den Erhalt des Lebensraums Erde zu stecken und dem Planeten zu helfen, sich von den Zerstörungen durch die Menschen zu regenerieren.

Vieles von dem, was Beuys vor über 40 Jahren gesagt hat, klang damals kryptisch, visionär oder provokativ. Manches scheint heute merkwürdig klar, pragmatisch und nachvollziehbar.

 

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Leiniusschule, Wolfhager Straße, Kassel © Stiftung 7000 Eichen Kassel

 

„Bäume sind Außenorgane des Menschen.“
Dieser Satz wurde in den 1980er Jahren noch als mythische Geheimlehre eines Künstler-Schamanen gedeutet. Beuys hat die Bäume auch als „Sensoren“ bezeichnet, die bereits etwas wahrnehmen, was die Menschen erst viel später erkennen. Mittlerweile ist uns schmerzlich bewusst, wie stark unser Leben von den Bäumen abhängt. Wir leben von dem Sauerstoff, den Bäume und Pflanzen hervorbringen. Das Bild von „Außenorganen“ liest sich als eine poetische Umschreibung dieser Erkenntnis. Corona macht uns bewusst, dass wir auf diesem Globus eine gemeinsame Hülle teilen und in den gleichen Luftraum atmen: Menschen, mit Corona und ohne, aber auch Tiere, Wälder und Meere, Flugzeuge und Autos. Über die Luft, die Atmosphäre sind alle Lebensformen auf der Erde verbunden und interagieren.
Bei der Aktion „7000 Eichen“ ging es nicht nur um Baumpflanzungen als einer ökologischen Maßnahme. Beuys selbst hat einmal gesagt, es ginge ihm bei der Aktion vielmehr um „die Seele der Menschen“. Was das wohl heißt?
Ein Aspekt, der heute nach wie vor Relevanz hat, ist der Kunstcharakter der Aktion. Baum und Stein ästhetisch zu rezipieren und als Kunst zu betrachten, fordert uns auf, rückt lebendige Prozesse der Natur viel stärker in den Blick und kann unser Kulturverständnis weiten.

STADTKULTUR im Beuys-Jubiläumsjahr

Zum 100. Geburtstag von Joseph Beuys ehrt der Verein STADTKULTUR Netzwerk Bayerischer Städte e.V. den Künstler mit einem Projekt, das an die „7000 Eichen“ in Kassel und die Idee der „Sozialen Plastik“ erinnert. Er beteiligt sich mit „Eichenpflanzungen zu Ehren von Joseph Beuys“ in mehreren Städten: München, Ingolstadt, Erlangen, Miesbach, Traunstein, Friedberg und anderen. Die „Eichenpflanzungen zu Ehren von Joseph Beuys“ sind eine Initiative des Museums DASMAXIMUM KunstGegenwart in Traunreut.

STADTKULTUR ist ein Netzwerk von knapp 60 Kommunen in Bayern, die kulturell zusammenarbeiten. Die großen Städte München und Nürnberg sind ebenso vertreten wie mittlere Städte und kleine Gemeinden. Wir von STADTKULTUR haben uns ganz bewusst für das Projekt „Eichenpflanzung zu Ehren von Joseph Beuys“ entschieden und ein Thema aus dem Beuys-Oeuvre gewählt, das wie kein anderes auf den Kulturraum Stadt verweist und die Transformation der Stadt in den Mittelpunkt stellt. Kassel war nach dem Krieg zum Vorbild einer autogerechten Stadt entwickelt worden und die Aktion „7000 Eichen“ hat quasi ein neues Motiv, ein neues Leitbild eingeführt.

Heute stehen alle Städte vor einer vergleichbaren Aufgabe – mit einem Unterschied: Die „Stadtverwaldung“ muss nicht mehr als neu eingeführt werden, sie ist längst zum Ziel in der Stadtverwaltung geworden. 1982 lautete der Slogan noch „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“. Heute, 2021, planen fast alle Kommunen die „Aufforstung“ der Innenstädte. Die Bäume haben die Funktion, die Städte auch in Zukunft in heißen Sommern noch erträglich zu machen. Hinzu kommt, dass der jetzige Baumbestand – in Stadt und Wald – die Klimaerwärmung nicht gut verträgt und vielerorts andere Arten gepflanzt werden müssen. Es stehen gigantische Aufgaben an – auch ein grundsätzliches Umdenken in der Stadtplanung und in der städtischen Kultur. Stadt muss im 21. Jahrhundert anders und neu gedacht werden.

 

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Ludwig-Mond-Straße, Kassel © Stiftung 7000 Eichen Kassel

 

Mit der „Eichenpflanzung zu Ehren von Joseph Beuys“ wollen wir als Netzwerk STADTKULTUR hierfür ein Zeichen setzen. Es geht zum einen darum, sich mit der Kasseler Idee zu verbinden und diese auch hier zu verwurzeln.

Zum anderen soll mit der Pflanzung ein wenig Mut gemacht werden, sich an der kulturellen Transformation zu beteiligen. So wie die große Aufgabe damals mit einer immensen Anstrengung in Kassel gelungen ist, kann auch unsere Aufgabe heute in anderen Städten gelingen: eine kulturelle Transformation, die auch eine ökologische, eine soziale und nicht zuletzt auch eine ökonomische sein wird und sein muss.

Es ist wichtig zu betonen, dass die Aktion „7000 Eichen“ nicht nur eine gärtnerische Maßnahme ist. Die Pflanzung ist Ausdruck des „Erweiterten Kunstbegriffs“ von Joseph Beuys. Stein und Baum stehen auch für einen neuen Kulturbegriff, der Kultur und Natur nicht mehr als Gegensatz versteht, sondern als miteinander verbundene, ineinander wirkende und voneinander abhängige Lebensformen. Auch auf diesen Aspekt wollen wir mit unseren „Eichenpflanzungen zu Ehren von Joseph Beuys“ hinweisen.

Die Eichenpflanzungen sehen wir weder als eigene Kunstwerke noch als Fortsetzung des Kunstwerks „7000 Eichen“ an. Es sind keine Plagiate, sondern Zeichen der Erinnerung, Referenz und Wertschätzung an die große Idee und den Künstler Joseph Beuys.

Was hat Beuys mit Bayern zu tun?

Wichtige Arbeiten von Beuys sind in München zu sehen – vor allem die Installation „Zeige Deine Wunde“ im Lenbachhaus, die damals zu einem maßlosen Skandal geführt hat. In der Pinakothek der Moderne befindet sich heute die Arbeit „Ende des 20. Jahrhunderts“ aus Basaltstelen der „7000 Eichen“.

Die „Eichenpflanzung zu Ehren von Joseph Beuys“ ist eine Initiative der Stiftung DASMAXIMUM, einer Gründung des Kunstförderers Heiner Friedrich. Der ehemalige Münchner Galerist und Mitbegründer der Dia Art Foundation in New York stiftete mit seinem Museum DASMAXIMUM KunstGegenwart in Traunreut herausragende Werkgruppen von neun Künstlern von Weltrang und ist für unsere „Eichenpflanzung zu Ehren von Joseph Beuys“ die wichtigste Verbindung nach Bayern. Friedrichs Dia Art Foundation hatte 1982 für die „7000 Eichen“ mit dem Ankauf der 7000 Basaltsteine im wahrsten Sinne des Wortes den Grundstein für das Beuys-Projekt gelegt und die Aktion von 1988 bis 1996 in New York City fortgesetzt. Im Jahr 2012 hatte er in Traunreut die Pflanzung von weiteren Eichen in Erinnerung an die Kasseler Aktion angeregt, und seit 2015 wird in Traunreut und Oberbayern „zu Ehren von Joseph Beuys“ gepflanzt, auch in Darmstadt am Hessischen Landesmuseum und auf dem Alnatura Campus. Die Webseite DASMAXIMUM informiert über das Projekt und seine Standorte.

In diesem Jahr kommen weitere Städte und Gemeinden hinzu. Im Jahr 2021 anlässlich des 100. Geburtstags von Joseph Beuys kooperiert das Netzwerk STADTKULTUR mit der Stiftung DASMAXIMUM. Wir haben 20 Basaltstelen übernommen, die in diesem Jahr mit jeweils einer Eiche in unseren Mitgliedsstädten gesetzt werden. Derzeit lagern die Stelen noch in Ingolstadt. Wir werden mit der ersten „Eichenpflanzung zu Ehren von Joseph Beuys“ hier in Ingolstadt beginnen.

ZUM PROJEKT "EICHENPLFANZUNG ZU EHREN VON JOSEPH BEUYS"

 

 

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